ENSSER-Stellungnahme: Der Vorschlag der EU-Kommission zu neuen GV-Pflanzen ist unwissenschaftlich und verschleiert deren Risiken


ENSSER-Stellungnahme: Der Vorschlag der EU-Kommission zu neuen GV-Pflanzen ist unwissenschaftlich und verschleiert deren Risiken

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19. Oktober 2023

Der Vorschlag der Europäischen Kommission, die meisten “neuen” gentechnisch veränderten Pflanzen von der Regulierung auszunehmen, muss vollständig zurückgewiesen werden. Er steht im Widerspruch zu grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er gefährdet die Bevölkerung und die Umwelt, ohne die Bürger durch Kennzeichnung zu informieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, mündige Entscheidungen zu treffen. Der Vorschlag hindert die Wissenschaftler daran, Risiken zu erkennen und weiter zu forschen, weil die Rückverfolgbarkeit und Erfassung molekularer Daten abgeschafft wird. Es ist ein offensiver Versuch, das Vorsorgeprinzip außer Kraft zu setzen, obwohl der Vorschlag sogar behauptet, mit diesem Prinzip im Einklang zu stehen. Unsere Forderung lautet daher: Neue gentechnisch veränderte Pflanzen müssen weiterhin durch die bestehenden EU-Rechtsvorschriften geregelt werden, die sich als zweckmäßig erwiesen haben.

Wir konzentrieren unsere Kritik in dieser Stellungnahme auf die Hauptprobleme des Kommissions-Vorschlags.  Wir hoffen, dass wir in einer späteren Stellungnahme auf die wissenschaftlichen Probleme des Vorschlags in ihrer Gesamtheit eingehen können.

 

Vorschlag der Europäischen Kommission ist unwissenschaftlich

Der Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über NGT-Pflanzen[1] unterteilt diese GV-Pflanzen in zwei Kategorien. NGT-Pflanzen der Kategorie 1 müssen die Kriterien von Anhang I der Verordnung erfüllen; wenn dies von der zuständigen Behörde “festgestellt” wurde, können sie freigesetzt und ihre Erzeugnisse ohne weitere Anforderungen wie Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung in Verkehr gebracht werden. NGT-Pflanzen der Kategorie 2 sind alle anderen NGT-Pflanzen; sie müssen einen reduzierten Teil der Anforderungen der bestehenden EU GVO-Vorschriften erfüllen, einschließlich einer begrenzten Risikobewertung. Darüber hinaus müssen sie gekennzeichnet werden.

Wir gehen davon aus, dass praktisch alle Anträge auf Freisetzung von NGT-Pflanzen unter Kategorie 1 und kaum welche unter Kategorie 2 gestellt werden. Praktisch wird dieser Vorschlag also die Mehrheit der neuen GVO (NGT-Pflanzen) von der EU-GVO-Verordnung und ihren Anforderungen ausnehmen.

Im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) heißt es in Artikel 114 § 3: “Die Kommission geht bei ihren in Absatz 1 vorgesehenen Vorschlägen in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau aus und berücksichtigt dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Erkenntnisse gestützten neuen Entwicklungen.”[2]

Der Vorschlag lässt viele wissenschaftliche Fakten außer Acht. Darüber hinaus entspricht er, entgegen den Behauptungen der Kommission (EK 2023a, EK 2023b), nicht dem Standard “wissenschaftlich fundiert” zu sein. Im Folgenden nennen wir weitere Gründe, die zeigen, dass der Vorschlag im Widerspruch zu grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen steht.

Mangelnder Schutz: Verschleierung der Risiken hinter der Neudefinition der “Gleichwertigkeit”

Der Vorschlag steht nicht im Einklang mit einer wissenschaftlichen und evidenzbasierten Risikobewertung und -management, da es bisher kaum Erfahrungen mit der Sicherheit neuer gentechnischer Verfahren in Lebensmitteln und im landwirtschaftlichen Anbau gibt. Stattdessen enthält der Vorschlag eine Liste so genannter Gleichwertigkeitskriterien, die extrem weit gefasst sind und die die große Mehrheit der neuen GVO einfach als “gleichwertig mit konventionellen Pflanzen” (Kategorie 1, Anhang I) umdefiniert. Es werden ein übergeordnetes Kriterium und eine Reihe von fünf Unterkriterien genannt, die alle nur auf DNA-Sequenzen beruhen. Pflanzen können jedoch nicht allein auf der Grundlage ihrer DNA-Sequenzen als biologisch gleichwertig bezeichnet werden: Eine Pflanze wird durch mehr als nur ihre DNA definiert. Darüber hinaus ist es willkürlich, ihre DNA-Sequenzen auf der Grundlage dieser Kriterien als “gleichwertig” zu bezeichnen (z. B. die Zulassung einer “Substitution oder Einfügung von nicht mehr als 20 Nukleotiden”, die “Löschung beliebiger Nukleotide” oder die Tatsache, dass der Entwickler gezielte Veränderungen bis zu insgesamt 20-mal vornehmen darf). Diese postulierte „Gleichwertigkeit“ zwischen NGT-Pflanzen und konventionellen Pflanzen ist also willkürlich konstruiert und stellt lediglich eine politische, keine wissenschaftliche Einordnung dar.

Der Vorschlag unternimmt keinerlei Anstrengungen zur Risikobewertung oder zum Risikomanagement von GV-Pflanzen der Kategorie 1. Im Gegenteil, er hebt absichtlich alle Verpflichtungen zur Bereitstellung von Sicherheitsdaten und zur Durchführung einer Risikobewertung und -überwachung für die meisten neuen GV-Pflanzen auf. Er tut dies, indem er das erwähnte Konzept der “Gleichwertigkeit mit konventionellen Pflanzen” einführt, das sich nicht nur nicht wissenschaftlich begründen lässt, sondern auch in keinem Bezug zur Sicherheit der Pflanzen steht.

Für NGT-Pflanzen und -Produkte gibt es keine Geschichte einer sicheren Nutzung (‚history of safe use‘). Obwohl die meisten dieser Techniken bereits seit einem Jahrzehnt oder länger existieren und nicht mehr als “neu” bezeichnet werden können, haben die wenigen daraus resultierenden Pflanzen und Produkte keine nachgewiesene Sicherheit für Mensch, Tier und Umwelt. Aktuell werden diese genomischen Techniken in rasantem Tempo weiterentwickelt, und es werden noch weitere Techniken folgen. Weder Anpassungen der Techniken noch neue Techniken verringern zwangsläufig ihr Potenzial, ein unbeabsichtigtes Risiko darzustellen. Während bei einigen Risikoquellen eine Verringerung des Gefährdungspotentials möglich ist, gilt dies nicht unbedingt für alle. Und dort, wo die Risiken schrittweise verringert werden können, werden eine erhöhte Effizienz und eine einfachere Anwendung die Produktpalette erweitern und möglicherweise den relativen Nutzen einer geringfügig geringeren Gefährdung pro Anwendung übersteigen. Wir haben dies bei älteren gentechnischen Verfahren gesehen, z. B. bei der Anwendung von Bt-Pflanzen, die letztendlich den Einsatz von Insektiziden erhöhen können, anstatt ihn zu verringern. Es gibt keinen wissenschaftlich plausiblen Grund zu der Annahme, dass ähnliche Entwicklungen nicht auch bei den so genannten neuen Techniken auftreten könnten, z. B. in Form von gentechnisch veränderten insektiziden RNAi-Pflanzen (siehe unten).

Die Feststellung der Sicherheit und des Risikos dieser neuen GVO erfordert zumindest einen direkten Vergleich mit isogenen, nicht veränderten Elternlinien auf molekularer Ebene sowie, anhand konkreter Nachweise, auf physiologischer und anatomischer Ebene. Das Konzept der Äquivalenz im Vorschlag ist jedoch so weit gefasst, dass selbst so stark veränderte Organismen z. B. mit verändertem Stoffwechsel und veränderter Zusammensetzung der behördlichen Aufsicht entgehen können. Dies birgt die Gefahr, dass Pflanzen auf den Markt kommen, die neuartige Toxine und Allergene enthalten und/oder deren Nährstoffgehalt reduziert ist. Der Entwickler einer NGT-Pflanze der Kategorie 1 darf z. B. bis zu 20 Basenpaare einer beliebigen Sequenz einfügen, und dies bis zu 20 Mal. Weit weniger als diese erlaubte Menge an Veränderungen würde beispielsweise ausreichen, um Pflanzen zu schaffen, die über einen als RNAi (interferierende RNA) bekannten Mechanismus Insektizide produzieren. Durch die Möglichkeit, beliebige Gene oder DNA-Sequenzen zu entfernen und beliebige Gene oder DNA-Sequenzen aus einem breiten “Züchtergenpool” einzufügen, kann man regulatorische Ein/Aus-Schalter mit Gensequenzen mischen, die für verschiedene Proteine und Enzyme kodieren, und man kann einen neuen GVO herstellen, der Toxine, Signalstoffe, Hormone oder andere Substanzen produziert. Man kann dies auch mit jedem anderen Schritt der “Äquivalenzkriterien” tun, da man 20 verschiedene Eingriffe vornehmen darf, die aus großen genomischen Veränderungen (Deletionen, Neukombinationen, Insertionen) bestehen können. Dieser Ansatz ist also gefährlich blind für jegliche Risiken.

Es wurden bereits viele von NGTs ausgehende Risiken dokumentiert. So hat sich beispielsweise herausgestellt, dass CRISPR-Anwendungen Toxizität (Álvarez et al., 2022), Mosaizismus (Mehravar et al., 2019) und andere unbeabsichtigte genomische Anomalien (Höijer et al., 2022; Chu und Agapito-Tenfen, 2022) verursachen. Siehe auch die ENSSER-Stellungnahme zum CRISPR/Cas-Gen-Editing (ENSSER, 2023).

Während diese Auswirkungen bei Organismen, die CRISPR/Cas absichtlich ausgesetzt wurden, beobachtet wurden, sind die Auswirkungen und negativen Folgen für Nicht-Zielorganismen und unbeabsichtigt exponierte Organismen praktisch noch unbekannt (Schenke und Cai, 2020). Solches Wissen wird nur entwickelt, wenn Risikobewertungen erforderlich und vorhanden sind und sowohl die Auswirkungen als auch die Unsicherheiten abgeschätzt und anerkannt werden.

Darüber hinaus wird im Vorschlag nicht ausreichend berücksichtigt, dass unvermeidliche unbeabsichtigte genetische Veränderungen der Zielpflanzen aufgedeckt und vermieden werden müssen, insbesondere solche, die durch die verwendeten gentechnischen Verfahren entstehen und die ebenfalls gut dokumentiert sind (z. B. das Einfügen von Genen aus dem CRISPR-“Schneidewerkzeug“, das Tausende von Mutationen im gesamten Genom verursacht: Wang et al. 2021). Es ist bekannt, dass unbeabsichtigte genomweite Mutationen, die in die Hunderte oder Tausende gehen, durch die Kultur von Pflanzengewebe, die Transformation von Pflanzenzellen sowie durch das Werkzeug zur genetischen Veränderung (z. B. CRISPR/Cas) entstehen und sich anhäufen. Dies wird unweigerlich zu unbeabsichtigten Veränderungen in der Expression vieler Gene führen, die unvorhersehbare biochemische und kompositorische Veränderungen zur Folge haben. Wir halten es für fahrlässig und unverantwortlich, die mit unbeabsichtigten Veränderungen verbundenen Risiken zu ignorieren.

Selbst NGT-Pflanzen der Kategorie 2 müssen dem Vorschlag zufolge nicht alle Anforderungen der Risikobewertung der GVO-Richtlinie 2001/18 erfüllen. Auch diese Einschränkung der Risikobewertung entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage; Umwelt, Mensch und Tiere werden auf diese Weise einem unverantwortlichen Risiko ausgesetzt.

Es gibt zwei Hauptgründe, warum NGTs zumindest unter dem derzeitigen EU-Gentechnikgesetz reguliert bleiben müssen. Erstens, weil unbeabsichtigte Auswirkungen auf die Umwelt und die biologische Vielfalt unbekannt sind. Zweitens, weil die Risikobewertung auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips von Fall zu Fall erfolgen sollte, da bei verschiedenen NGT-Anwendungen und/oder Arten und/oder in verschiedenen Umwelten unterschiedliche Auswirkungen möglich sind (CBD, 2016).

Weitere Probleme des Vorschlags aus wissenschaftlicher Sicht

Das Zulassungsverfahren für NGT-Pflanzen der Kategorie 1 (Art. 6 des Vorschlags) bezieht sich nur auf die Richtlinie 2001/18 (absichtliche Freisetzung von GVO) und die Verordnung 178/2002 (Allgemeines Lebensmittelrecht). Art. 5 des Vorschlags erklärt jedoch alle Vorschriften, die in der EU für GVO gelten, als nicht anwendbar auf Pflanzen der Kategorie 1. Der Vorschlag nimmt also nicht nur die absichtliche Freisetzung neuer gentechnisch veränderter Pflanzen von der behördlichen Aufsicht aus, sondern auch alle Zwischenschritte bei der Entwicklung dieser gentechnisch veränderten Pflanzen, wie z. B. die ersten Laborphasen, die bisher gemäß der Richtlinie 2009/41 in einem geschlossenen Labor stattfinden mussten. Nach dem Vorschlag können die Verfahren zur Herstellung von Pflanzen der Kategorie 1 überall ohne die erforderliche Isolierung durchgeführt werden (im Prinzip sogar an einem Ort im Freien). Andere Organismen (z. B. Bakterien, Pilze, wirbellose Tiere), die den NGT-Reagentien ausgesetzt sind, können zu unbeabsichtigten Gefahren werden. Darüber hinaus scheinen alle gentechnisch veränderten Mikroorganismen, die zum Zweck der Entwicklung von Vektoren oder Reagenzien für die Entwicklung von NGT-Pflanzen der Kategorie 1 hergestellt werden, nach dem derzeitigen Vorschlag ebenfalls von der Regelung ausgenommen zu sein. Das Gleiche gilt für Reagenzien, die zur Verwendung in den Pflanzen hergestellt werden, wie z. B. DNA-Vorlagen zur Herstellung von Leit-RNA oder Nukleasen.

Ein weiteres schwerwiegendes Versäumnis des Vorschlags besteht darin, dass die Bewertung all dieser zusätzlichen Risiken im Zusammenhang mit der Entwicklung von Pflanzen der Kategorie 1 vollständig gestrichen wurde.

Während in der politischen und öffentlichen Diskussion über den Vorschlag meist auf die wichtigsten einjährigen Pflanzen Bezug genommen wird, würden die Ausnahmeregelungen in Wirklichkeit das gesamte Pflanzenspektrum abdecken, einschließlich Wildpflanzen, Waldbäumen, Obstbäumen, seltenen einheimischen Pflanzen, Heilpflanzen, Kräutern usw., mit potenziell schwerwiegenden Auswirkungen auf Umwelt, biologische Vielfalt, Nachhaltigkeit und Gesundheit.

Angriff auf das Vorsorgeprinzip

Es gibt immer wieder Situationen, in denen die verfügbaren wissenschaftlichen Informationen über neue Technologien den Entscheidungsträgern begründeten Anlass geben, dass von diesen möglichen Schäden für die menschliche Gesundheit, die Umwelt oder die biologische Vielfalt ausgehen, dass aber über das Ausmass und die Eintrittswahrscheinlichkeit keine wissenschaftliche Gewissheit besteht. Aus diesem Grund gibt es das Vorsorgeprinzip (VP), das im Vertrag über die Arbeitsweise der EU verankert ist[3]. Das Vorsorgeprinzip kommt in Situationen zur Anwendung, in denen ein schwerwiegender Schaden eintreten, die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aber noch nicht angegeben werden kann. Es sind daher Vorkehrungen zu treffen, um sich vor diesem Schaden möglichst zu schützen. Gleichzeitig sind die Daten zu erheben, die erforderlich sind, um die Wahrscheinlichkeit bestimmen zu können. Ziel ist es, auf diese Weise das Risiko, d. h. das Produkt von Wahrscheinlichkeit und Schaden, zu ermitteln.

Die Deregulierung der neuen GV-Pflanzen der Kategorie 1 erklärt diese a priori als sicher. Dass von diesen Pflanzen Risiken ausgehen können, wird von vornherein ausgeschlossen. Diese Behauptung ist wissenschaftlich völlig unhaltbar und stellt einen massiven Angriff auf das Vorsorgeprinzip dar. Es ist anmaßend, dass die Europäische Kommission im Text des Vorschlags behauptet, er stehe im Einklang mit dem VP, obwohl der Vorschlag das VP in Wahrheit unwirksam macht.

Die Kommission zeigt mit dem Vorschlag weder ein Verständnis für die großen wissenschaftlichen Unsicherheiten der NGTs (seien es bekannte oder unbekannte Risiken), noch Anerkennung für die Grenzen der Wissenschaft, die insbesondere in der Biologie und Genetik bestehen. Darauf wurde in vielen schriftlichen Expertenpapieren und zahllosen Expertenvorträgen wiederholt aufmerksam gemacht. Auch wenn von Gesetzgebern und Politikern nicht erwartet werden kann, dass sie diese wissenschaftlichen Fragen verstehen, so sind sie doch verpflichtet, ihr mangelndes Verständnis anzuerkennen und dafür zu sorgen, dass in ihren politischen Vorschlägen die ganze Bandbreite der wissenschaftlichen Positionen berücksichtigt wird. Was wir jedoch feststellen, ist, dass der Raum dessen, was diskutiert wird, eingeengt wird. Die Vielfalt der wissenschaftlichen Meinungen wird ausgeschlossen, die Politik berücksichtigt also nur noch die eine, ihren Interessen dienliche Seite.

Schlussfolgerung

Die derzeitigen GVO-Verordnungen und -Richtlinien der EU haben einem guten Zweck gedient (Umweltsicherheit) und waren dabei in den letzten zwanzig Jahren erfolgreich. Es gibt keine guten Gründe, dieses System zu schwächen, geschweige denn es für die meisten neuen GVO-Pflanzen abzuschaffen, zumal es keine langfristigen Erfahrungen der sicheren Nutzung mit ihnen gibt. Unser fortschreitendes Wissen über die Molekulargenetik zeigt uns, dass das Genom eines Organismus als fein austariertes, integriertes Netzwerk funktioniert (Gupta et al., 2022; Schaefer et al., 2017), wobei komplexe Merkmale von Natur aus omnipräsent sind, denen die Funktion des gesamten Genoms zugrunde liegt (Boyle et al., 2017; Mathieson, 2021). Die Tatsache, dass Gene als Netzwerke funktionieren, bedeutet, dass jede Veränderung auf dieser Ebene große Auswirkungen auf die Muster der Genexpression und die Biochemie eines Organismus haben kann. Daher legen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse nahe, dass das Gesetz zur Regulierung der Gentechnik einschließlich der NGT neu bewertet und eher gestärkt werden sollte, anstatt es zu schwächen. Mit einer Aufweichung der GVO-Gesetzgebung würde die Kommission die Bürger unnötigen und unkontrollierten Risiken aussetzen und damit ihrem eigenen Vertrag widersprechen. Der Vorschlag ist vollständig abzulehnen, da er aufgrund seiner eklatanten Einseitigkeit nicht einmal für Verhandlungen geeignet ist; er ist nicht zu retten.

Referenzen

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Endnoten

[1] Pflanzen, die mit sogenannten Neuen Genomischen Techniken gewonnen wurden, einschließlich, aber nicht beschränkt auf CRISPR-Cas. NGT-Organismen sind – wie durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2018 bestätigt – genetisch veränderte Organismen (GVO), in diesem Fall genetisch veränderte Pflanzen.

[2] https://lexparency.org/eu/TFEU/ART_114/

[3] https://lexparency.org/eu/TFEU/ART_191/

 

[1] Pflanzen, die mit sogenannten Neuen Genomischen Techniken gewonnen wurden, einschließlich, aber nicht beschränkt auf CRISPR-Cas. NGT-Organismen sind – wie durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2018 bestätigt – genetisch veränderte Organismen (GVO), in diesem Fall genetisch veränderte Pflanzen.

[2] https://lexparency.org/eu/TFEU/ART_114/.

[3]  https://lexparency.org/eu/TFEU/ART_191/


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